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Bericht der Arbeitsgruppe Kryptogamen

(Leitung K. Ammann)

Flechten als symbiontische Doppelorganismen leben in einem labilen Gleichgewicht der beiden Partner; mit ihrem Symbiosevorteil sind sie in der Lage, auch extreme Standorte zu besiedeln. Dennoch reagieren sie empfindlich auf die Veränderung der Kleinstandorte: Mikroklima, insbesondere auch Luftqualität. Eine weitere Gefährdung ergibt sich auch über den Verlust an geeigneten Substraten. Um sie als qualitativ und quantitativ auswertbare Biomonitoring-Organismen präziser einsetzen zu können, braucht es noch viel Grundlagenforschung. Die relativ wenigen, oft aber sehr variablen Merkmale verlangen bei der taxonomischen Bearbeitung von Artengruppen eine breite Methodenpalette, die interdisziplinär von der Autökologie, der Elektronenmikroskopie bis zur Mikrochemie (DC, spektrometrische Methoden, multivariate Statistik reicht. Synökologische Untersuchungen müssen auf solchen Revisionen aufbauen können, sie bilden ihrerseits die Grundlage, einerseits die in Bern entwickelte kalibrierte Biomonitoring-Methodik weiterzuführen, anderseits Fragen des Arten- und Naturschutzes zu beantworten (Bonitierung von Naturräumen mittels Flechten, Schutz seltener Arten, Biogeographie hochalpiner oder ozeanischer Arten usw.)

Das Systematisch-Geobotanische Institut in Bern vertrat von 1976 bis 1996 als einziges universitäres Institut in der Schweiz mit einer Arbeitsgruppe das Fach Lichenologie mit Schwerpunkt Systematik und Ökologie, das auch voll in den Unterricht integriert ist. Die Zusammenarbeit mit den neu über Berner Schüler entstandenen Forschungsstellen in Lichenologie (WSL, Scheidegger, mit Schwerpunkt Jugendentwicklung und Verbreitungsbiologie, sowie Conservatoire Genève, Clerc, mit Schwerpunkt molekulare Systematik) wird intensiv gepflegt.

Ein erster Forschungsschwerpunkt betraf die Chemotaxonomie der Flechten. Die im Labor 1976 etablierte kalibrierte und standardisierte Dünnschichtchromatographie förderte über zahlreiche Analyseresultate viel Aufklärung zur Systematik komplexer Artengruppen zutage: Schwerpunktmässig wurden die folgenden Gattungen und Artengruppen bearbeitet: Cladonia, Usnea, Buellia, Hydroverrucarien, und viele kleinere Gruppen, z.T. auch als Dienstleistung und Zusammenarbeit mit anderen Universitätsinstituten in Bern und in der Schweiz. Gestützt durch die Chemotaxonomie und auch aufgrund umfangreicher morphologischer Untersuchungen entstanden zu den obig genannten Gattungen Monographien, die grundlegendes zur Systematik erarbeiteten.

Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogrammes Luftreinhaltung und Lufthaushalt (NFP 14) wurde eine kalibrierte Indikationsmethode der Luftverschmutzung entwickelt. Diese integrierte Methodik umfasst aktives Monitoring (Präsenz und Absenz) und auch passives Monitoring (Inhaltsstoff-Analyse in ausgewählten Flechtenarten) und ist heute sowohl als offizielle Methodik des Bundesamtes für Umwelt, Wald und Landschaft eingeführt als auch auf europäischer Ebene verschiedentlich integriert worden.

Die kalibrierte Bioindikations-Methodik wurde weiter entwickelt; ein grösseres Projekt betrifft Bulgarien, zahlreiche Anwendungsprojekte liefen über zwei professionell arbeitende Ökobüros (PULS und AG Bioindikation).

Die Systematik und Biologie der noch weitgehend unbekannten Wasserflechten wir als Grundlage für eine breiter angelegte Biologie alpiner Fliessgewässer erforscht.

Die Bedeutung der Kastanienselven als Standort gefährdeter Flechtenarten in der Südschweiz wird mit flechtensoziologischen Methoden erfasst.

In stadtökologischen Arbeiten wurden die Grundlagen für eine wissenschaftlich fundierte Grünkartierung der Stadt Bern geschaffen: Pflanzensoziologische und ökologische Daten zu naturnahen und ruderalen Flächen wurden erarbeitet. Es stehen dabei Daten über die Bodenbeschaffenheit und Klimadaten im Vordergrund, die mit floristischen und vegetationskundlichen Daten kombiniert ausgewertet wurden. Es hat sich dabei eine intensive Zusammenarbeit mit der Stadtgärtnerei entwickelt. Die Erkenntnisse dieser stadtökologischen Untersuchungen fliessen gegenwärtig ein in die Erstellung eines Natur-Atlanten der Stadt Bern.

In einem Schwerpunktprogramm laufen in Zusammenarbeit mit der Universität Neuenburg Untersuchungen über den möglichen vertikalen Genfluss von zukünftigen transgenen Kulturpflanzen zu ihren verwandten Wildarten in der Schweiz. Es wurde für 5 Kulturpflanzen der Genfluss in Hybridzonen direkt bestimmt und für weitere ca. 15 Kulturpflanzen wurde der Genfluss aufgrund von Literatur- und Verbreitungsstudien für die Situation in der Schweiz abgeschätzt. Dabei wird angestrebt, die Grundlagen zu liefern für ein Zulassungsverfahren transgener Nutzpflanzen in der Schweiz.

An interdisziplinären Forschungsverbindungen konnten realisiert werden:

Universität Bern: Pflanzenphysiologie (Proff. Brunold, Feller) Chemie (Proff. Schlunegger, Krähenbühl, Pfander. WSL: Forschungsgruppe Lichenologie Dr. C. Scheidegger
ETH Zürich: Orts- Regional- und Landesplanung ORL, Lehrauftrag Bioindikation Umweltnaturwissenschaften und Umweltingenieure.
Universität Neuchâtel: Institut de chimie organique: Prof. R. Tabacchi. Institut de Botanique Systématique: Prof. Philippe Küpfer und Dr. François Felber.
Conservatoire et jardin botaniques: Dr. Philippe Clerc und Prof. Dr. R. Spichiger.

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In der Berichtsperiode abgeschlossene Arbeiten

Diplome

Flechten: Reto Camenzind, Michael Dietrich, Martin Frei, Christine Keller, Elisabeth Wildi.
Moose: Joachim Gratzfeld, Yvonne Veltmann
Stadtökologie: Beni Isenegger, Thomas Landolt, Ursi Moser, Christa Neuenschwander, André Schmid, Sabine Tschäppeler
Morphologie: Roger Lötscher, Verena Schreyer-Merlo
Vegetationskunde: Kathrin Ehrensberger, Thomas Held, Nicolas Dussex

Dissertationen

Flechten: Philippe Clerc, Rolf Herzig, Christine Keller, Luzius Liebendörfer, Kathrin Peter, Engelbert Ruoss, Christoph Scheidegger, Martin Urech
Blütenpflanzen-Systematik: Jonas Lüthy, Daniel Martin Moser
Genflow: Julia Keller, Pia Rufener
Mitbetreuung von auswärtigen Arbeiten
Sibylle Grundlehner, Diss Uni Lausanne, mit Philippe Clerc
Dominique Simon: Thèse, Université de Paris VII
Hanni Britt: Diplom Uni Zürich
Fabrizio Merlo: Bioindikation, Palermo, Sizilien
Elisabetta Oddo: Bioindikation mit Flechten. Uni Palermo, mit Prof. Brunold

Bern, im Oktober 1996               K. Ammann